Sartre
Biographie
Satre, Jean-Paul *Paris 21. Juni 1905, † ebd. 15.
April 1980, franz. Philosph, Schriftsteller und Journalist. Nach Besuch
des Gymnasiums in La Rochelle und Paris 1924-1929 Philosophiestudium an
der École normale supérieure in Paris (Abschlussexamen als
Jahrgangsbester); Freundschaft und Lebensgemeinschaft mit S. de Beauvoir.
[...] Nach der Ableistung des Militärdienstes lehrte S. 1931-1944 an
Gymnasien in Le Havre, Laon und Paris das Fach Philosophie. 1933-1934 Stipendienaufenthalt
am Institut Francais in Berlin, wo sich S. vornehmlich mit E. Husserls Philosophie
befasste. 1940-1941 Kriegsgefangenschaft in Deutschland. Danach aktive Militärarbeit
in der Résistance; ab 1945 freier Schriftsteller. Mit M. Merlrau-
Ponty und de Beauvoir Herausgeber der politisch-literarischen Zeitschrift
"Les temps modernes"; zunehmend Engagement auf der politischen
antiautoritären Linken; 1952 endgültiger, öffentlich vollzogener
Bruch mit A. Camus. Eine zeitweilige, seine Anhängerschaft irritierende,
emphatische Zuwendung zum Kommunismus (1952-1956) fand mit S.s Protest gegen
den Einmarsch der sowjetischen Truppen in Ungarn ein Ende. [...] S. war
1967 Vorsitzender des in Stockholm und Roskilde tagenden Russel-Tribunals
gegen den Vietnam-Krieg, verurteilte den einmarsch der Truppen des Warschauer
Paktes in die Tscheschoslowakei (1968) und unterstützte die studentische
Protestbewegung der 60er Jahre. S. verweigerte 1964 die Annahme des ihm
verliehenen Nobel-Preises für Literatur.
Quelle:
Jürgen Mittelstraß, Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie
3, Stuttgart: J. B. Metzler-Verlag 1995, S. 678/679
Werke
S.s erste philosoph. Arbeiten: "La transcendence de
l´égo" (1936), "L´imagination" (1936),
"Esquisse d´une théorie des émotions" (1939)
(dt. zusammen 1964 u. d. T. "Die Tranzendenz des Ego. Drei Essays")
gehören noch in den Umkreis der Husserlchen Phänomenologie.
S.s erstes philosoph. Hauptwerk "Das Sein und das Nichts" ( 1943;
dt. Teilübers. 1952, vollständig dt. 1962) ist wesentl. Von Hegel
und Heidegger beeinflußt. Zentral ist für S. im Anschluß
an die idealist. Subjektivitätsproblematik der Begriff de Freiheit.
Die Bewußtseinsanalyse entdeckt zwei grundsätzl. voneinander
unterschiedene Seinstypen: das An-sich, das einfach das ist, was es ist,
und das Für-sich, das "zu sein hat, was es ist". Das Für-sich
gewinnt sein Sein im Verhältnis zum An-sich und zu sich selbst, sein
Selbstverständnis erst über die Erfahrung des anderen. Die Stiftung
des Für-sich geschied aus Freiheit, der sich grundsätzl. kein
Mensch entziehen kann. Nach dem konsequenten Atheisten S. ist der Mensch
für sein Tun voll verantwortl., weil alle Wertordnung seiner Freiheit
entstammt. Der um seine Freiheit wissende Mensch gewinnt durch sein Engagement
und die auf ihn fallende und bejahte Verantwortung für sein Tun die
höchste Form seines Seins.- Als die dezidierter Anhänger einer
Littérature engagée setzt sich S. in seinen Romanen,
Dramen und Filmdrehbücher v.a. mit dieser seinem philosoph. Werk systemat.
entwickelten Freiheitsproblematik auseinander.- Seine Forderung des Engagements,
zunächst inhaltl. nicht näher bestimmt, orientiert S. in den 50er
und 60er Jahren zunehmend an marxist. Positionen, deren dogmat. und polit.
gewalttätige Ausprägungen jedoch scharf kritisiert. In der Abhandlung
"Marxismus und Existentialismus" (1957 in "Les Temps modernes",
1960 als Einleitung zu "Kritik der dialekt. Vernunft", dt. 1964)
räumt S. der marxistischen Philosophie dem Existentialismus gegenüber
den Primat ein. Letzterem kommt im übergreifenden Rahmen der Entwicklung
der von Marx aufgewiesenen Dialektik die Aufgabe zu, Totalisierungtendenzen
in Theorie und Praxis gegenüber die Positionen des konkreten Menschen
zu Geltung zu bringen. In seinem bislang letzten größeren philosoph.
Werk "Kritik der dialekt. Vernunft" (Bd. 1, 1960, dt. 1964) versucht
S. die dialekt. Grundlegung einer philosoph Anthropologie. Weitere Werke:
Der Ekel (R., 1938; dt. 1949), Die Mauer (E., 1939, dt. 1950), Das Imaginäre
(Essay, 1940; dt. 1971), Die Fliegen (Dr., 1943; dt. 1949), Bei geschlossenen
Türen (Dr., 1945; 1949; auch u.d.T. Geschlossenen Gesellschaft), Die
Wege der Freiheit (unvollendete R.-Tetralogie 3 Bde., 1940-49, dt. 1949-51),
Ist der Existentialismus ein Humanismus? (Essay, dt. 1947), Betrachtungen
zur Judenfrage (Essay, dt. 1948), Tote ohne Begräbnis (Dr., dt. 199),
Die ehrbare Dirne (Dr., 1946; dt. 1949), Baudelaire (Essay, 1947; dt. 1953),
Das Spiel ist aus (Drehb., 1947; dt.1952), Die schmutzigen Hände (Dr.,
dt. 1949), Der Teufel und der liebe Gott (Dr., dt. 1951), Kean oder Unordnung
und Genie (Dr., dt. 1954), Nekrassow ( Dr., dt. 1956), Die Eingeschlossenen
(Dr., dt. 1960), Die Wörter (Autobiogr., dt. 1965), Die Troerinnen
des Euripides (Dr., dt. 1966), Porträts und Perspektiven (Essay, dt.1968),
Kolonialismus und Neukolonialismus (Essay, dt. 1968), L´idiot de la
famille. G. Flaubert de 1821 à 1857 (2 Bde., 1971/72, Bd. 1 dt. 1977
u.d.T. Der Idiot der Familie. Gustave Flaubert 1821 bis 1857. Teil 1: Konstitution),
Mai 68 und die Folgen (Aufsätze, Reden, Interviews, 2 Bde., dt. 1974/75).
Quelle:
Meyers Enzyklopädisches Lexikon in 25 Bänden, Band 20: Rend -
Schd, Mannheim 1977, S. 734
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